Die vorherigen Blogbeiträge haben bereits die Theorie des Empowermental Climate vorgestellt und die Athlet*innenperspektive eingebracht. Nun wird die Trainerinnen-Perspektive von Viola Kleiser vorgestellt, damit ein Gesamtbild entsteht. Eines zeigte sich, dass Kleiser nicht bewusst die Theorie anwandte, sondern sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Theorien auseinandersetze und das, was für sie stimmig erschien mitnahm. Die Athlet*innen erzählen von einer angenehmen Atmosphäre im Team und konnten ihre sportliche Leistung verbessern.

Viola Kleiser

Von der Spitzenathletin zur Trainerin: Viola Kleiser begann ihre Leistungssportkarriere mit 20 Jahren. Sie erhielt ein Sportstipendium in Missouri und verbrachte somit zwei Jahre in Amerika und übte dort ihren Sport “Track and Field” (Leichtathletik) aus. Danach hatte sie ihren Trainingsmittelpunkt in Österreich, u.a. bei Sprint – Nationaltrainer Philipp Unfried.  Zu ihren sportlichen Erfolgen zählen mehrere Staatsmeisterinnen-Titel in den Sprint-Disziplinen 60m, 100m & 200m. Ebenso nahm sie als Bobfahrerin 2014 bei den Olympischen Spielen in Sotschi teil. Im Jahr 2017 begann sie mit Kindertraining im SLZ St.Pölten und heute ist sie ÖLV-Stützpunkttrainerin und Landeskoordinatorin.

Viola Kleiser startete ihre Trainerinnentätigkeit ohne konkreten Plan/Ziel, wohin sich die Trainingsgruppe entwickeln sollte. Sie holte die Trainer*innenausbildung nach und absolvierte die A-Trainer*innenlizenz im Deutschen Leichtathletikverband. Durch den Austausch mit Kolleg*innen aus der Schweiz, ihr Psychologie und Philosophie Studium sowie ihre persönliche Weiterentwicklung hinsichtlich Kommunikationstheorien versucht Viola den aktuellen Stand der Wissenschaft in die Trainingsgruppe einfließen zu lassen. Sie ist sozusagen gemeinsam mit ihrer Aufgabe und den Athlet*innen gewachsen. Aus unserer Perspektive zeichnet Viola Kleiser ebenso eine reflektierte Trainerinnenhaltung aus.

Trainingsgruppe von Viola Kleiser

ÖOC/GEPA pictures/ Patrick Steiner

Wichtige Punkte aus Trainer*innensicht:

Kommunikation

Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil, der in der Trainingsgruppe gelebt wird. Transparenz in der Kommunikation und eine offene Haltung als Trainer*in führen dazu, dass Vertrauen aufgebaut werden kann. “Schenkt mir euer Vertrauen und ich werde mein Bestes geben.” Beispielhaft kann hier der Wunsch einer Athletin genannt werden, die eine neue Disziplin versuchen wollte. Die klare Information an die Athletin, dass in dieser Disziplin keine einschlägige Expertise vorhanden ist, aber Viola sich in die Thematik einarbeiten kann, wurde kommuniziert und der gemeinsame Weg besprochen. Dies war eines von vielen Beispielen in denen die Kommunikation mit den Athlet*innen auf Augenhöhe wahrgenommen wurde. Die Kommunikation hängt eng mit dem nächsten Punkt zusammen, nämlich der Rollenklarheit.

Rollenklarheit

“Ein wichtiger Punkt, den man sich als Trainer*in vor Augen halten muss, ist, dass man mit Menschen arbeitet, die alles für ihren Sport geben, aber von Trainer*innen abhängig sind. Um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, braucht es einen bestimmten Rahmen”, so die Trainerin. Wann habe ich wo als Trainer*in welche Aufgabe zu erfüllen und wo hört meine Zuständigkeit auf und beginnt die Selbstwirksamkeit und Eigen-/Selbständigkeit der Athlet*innen? Viola Kleiser sieht ihre Aufgabe darin, Athlet*innen dahingehend zu unterstützen, ein/e selbständige/r Athlet*in zu sein. Im Umkehrschluss bedeutet dies für sie, dass sie Athlet*innen nicht das Gefühl geben darf, dass es ohne sie nicht gehen würde. Es zeigt sich ein reflektiertes Bild zu Abhängigkeits- und Machtstrukturen von ihr als Trainerin.

In der Zusammenarbeit mit den Athlet*innen ist der Trainerin wichtig, dass gegenseitige Grenzen geachtet werden. Einerseits bezieht sich dies auf die Erreichbarkeit und andererseits auf die Inhalte. Dementsprechend müssen die Athet*innen nicht 24 Stunden für die Trainerin erreichbar sein, dies gilt auch umgekehrt. Bei Zweiteren kommt die Rollenklarheit wieder ins Spiel. Private Inhalte, die das Training betreffen, können kommuniziert werden, aber es wird nicht vertiefend über private Problemstellungen gesprochen.

Athlet*innenzentrierung

Die Athlet*innenzentrierung spiegelt sich in der Entscheidungsfindung wider. In einem gemeinsamen Prozess werden die Fakten dargelegt, Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, wobei die*der Athlet*in schlussendlich selbst entscheidet, z.B. Terminkollisionen sportlicher und privater Termine. Hier konnte die Trainerin durch Supervision mit der Sportpsychologin vor Ort ihre Haltung professionalisieren: “Das Entkoppeln der Fakten von Emotionen ist in diesem Fall dienlich.” Der*Die Trainer*in soll nicht mit Schuldgefühlen und Emotionen der Athlet*innen spielen oder getroffene Entscheidungen sanktionieren oder persönlich nehmen. So kann ein Arbeiten auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt vollzogen werden. Die Praxis zeigt, dass es durch diesen klar gesetzten Rahmen und der Entscheidungsmacht bei den Athlet*innen kaum zu diesbezüglichen Diskussionen kommt.

Die Athlet*innen sind Einzelsportler*innen, aber die Trainingsgruppe kann als wichtige Ressource gesehen werden. Die Gruppe(ndynamik) wird von Athlet*innen und Trainerin als positiv empfunden. Die Athlet*innen sind auch Konkurrent*innen, doch Viola Kleiser vermittelt hier klar, dass die Sportler*nnen alle auf einem Niveau sind, auf dem sie voneinander profitieren bzw. einander helfen können. Gegenseitiges pushen, anspornen und der Zusammenhalt wirkt sich positiv auf die Leistung aller Athlet*innen aus. Am deutlichsten zeigt sich dies bei den beiden interviewten Athleten, welche direkte Konkurrenten sind, aber Rivalitäten haben keinen Platz in der Trainingsgruppe. Diese wohlwollende, unterstützende und wertschätzende Atmosphäre war in dem beobachteten Training spürbar.

Doppelbelastung Ausbildung und Sport

Vor allem bei jungen Athlet*innen kommt es zu einer Doppelbelastung durch Ausbildung und Leistungssport. Als Trainer*in sollte man die damit zusammenhängenden Belastungen kennen und entsprechend darauf reagieren. Viola Kleiser kommuniziert vor Semesterbeginn bereits die fixen Trainingstage, damit die Vorlesungen entsprechend gewählt werden können. Wenn möglich, sollen sich diese nicht mit den Trainings überschneiden. Ebenso vergleicht sie die Stundenpläne, um Trainingszeiten anzupassen. In Prüfungswochen etc. liegt die Entscheidung, ob trainiert wird oder nicht, bei den Athlet*innen. Es erfolgt wieder eine faktenbasierte Darlegung und die*der Athlet*in entscheidet selbst. “Leistungssport ist ein Lifestyle”, so die Worte von Viola Kleiser. Dies bedeutet, dass man die verschiedenen Lebenswelten/Lebensrealitäten aufeinander abstimmen und eine Balance entwickeln muss. Wichtig dabei ist, dass seitens der*des Trainer*in kein Druck ausgeübt wird, sondern auf die intrinsische Motivation der Sportler*innen aufgebaut wird. Die Athlet*innen sind für Regeneration z.B. Dehnen, Eisbad und Saunieren selbst zuständig. Dies fördert das Körperbewusstsein und hilft den Sportler*innen ein Gespür dafür zu entwickeln, was gebraucht wird.

Durch die Unterstützung von KADA kann ein zweiter Prüfungsantritt bewusst gewählt werden, wenn sich der erste mit der Wettkampfvorbereitung überschneiden sollte. Daraus ergibt sich, dass eine Abweichung vom Trainingsplan jederzeit möglich ist. Aktuelle Befindlichkeiten, mangelnder Schlaf, etc. wirken sich auf die Leistungsfähigkeit aus. Der Trainingsplan geht immer von einer idealen Woche aus. Daher bedarf es einer Anpassung, wenn dem nicht so ist.

Die Förderung der Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Athlet*innen beginnt bereits bei der Planung. Individuelle Trainings(tage)bücher, Pünktlichkeit und Sorgfalt bei den organisatorischen Aufgaben sind Viola wichtig. Die Athlet*innen müssen ihren Trainingsplan beim Training kennen. Der Fokus der Trainerin liegt somit in der Kontrolle der Ausführung der Bewegungen, Verbesserungen der Abläufe und nicht im Ablauf und Leiten des Trainings.

Wettkämpfe

Bei Wettkämpfen hat jede*r Sportler*in einen individuellen Ablauf. Viola Kleiser sieht sich an diesem Tag selbst als Statistin. Sie unterstützt die Athlet*innen individuell, je nachdem was sie*er benötigt. Sie möchte nicht, dass die Athlet*innen von ihr abhängig sind, sondern die Athlet*innen sollen sich ohne sie sicher fühlen. Vor allem in Hinblick auf Wettkämpfe ab der Europameisterschaft, in denen die Athlet*innen beim Aufwärmen ab dem Zeitpunkt des Callrooms auf sich selbst gestellt sind. Egal ob Erfolg oder Misserfolg, es findet nach dem Wettkampf eine sachliche Nachbesprechung statt.

Empowermental Climate aus Sicht der Vertrauensstelle:

Viele denken sich nun vielleicht, dass Saisongespräche und wertschätzende Kommunikation selbstverständlich sind, doch die Erfahrungen in der Arbeit von vera* zeigen, dass es hier noch Aufholbedarf gibt.

Gerade gegenüber „privaten Terminen“ geht die Akzeptanz von Trainer*innen weit auseinander. Dass Leistungssport Verzicht bedeutet und einen ganz speziellen auf den Sport fokussierten Lifestyle, bleibt unbestritten, doch die Möglichkeit, ein wenig soziales Leben zu erhalten, ist wichtig und für eine langfristige Karriere essentiell. Dieser Aspekt “soziale Unterstützung” wird im Empowermental Climate ebenso hervorgehoben. Schon in der Jahresplanung wichtige persönliche Termine mit einzubeziehen, erleichtert die Planung eines stringenten Trainingsplans, unterstützt die Athlet*innen in ihrer Autonomie, fördert Eigenverantwortung und gibt die Chance, eigene Bedürfnisse zu integrieren.

Durch eine wertschätzende und ernstgemeinte Kommunikation können bereits die drei Hauptaspekte des Empowerment stärkenden Klimas abgedeckt werden: Aufgabenorientierung, Autonomieunterstützung und soziale Unterstützung. Diese Aspekte sollten immer wieder im Training aufgegriffen werden, sodass die intrinsische Motivation gesteigert werden kann. Die aktive Miteinbeziehung der Sportler*innen in Entscheidungsfindungen und der dabei wertschätzende Umgang bilden die Basis. Die kritische Selbstreflexion der Trainer*innenhaltung ist eine Voraussetzung dafür.

Die Erfahrungen zeigen, dass Trainer*innen von ihren Methoden überzeugt sind, da sie diese meist selbst erfahren haben, diese Methoden vermeintlich “erfolgreich” waren oder ihnen alternative Ansätze fehlen. Dies kann unreflektiert zu einem eigenen autoritären Trainer*innenstil führen. Die Grenzen zwischen psychischen Gewalt und „wer Leistung bringen will, muss das aushalten“ verschwimmen oft, sodass die Sportler*innen darunter leiden. Dies kann zu einem frühzeitigem Drop Out und leider oft auch zu langfristigen psychischen Problemstellungen für Athlet*innen führen. Hier ist der Ansatz, ohne Strafen, Sanktionen und Druck zu arbeiten, zu bevorzugen, denn einerseits bestätigt das Empowerment Klima, dass zu starke Kontrolle und Wettkampforientierung schwächende Faktoren sind und zudem psychische Gewalt darstellen können.

Weitere Punkte des Empowermental Climate, die diese Gruppe berichtet:

  • Wahrnehmung hoher sozialer Unterstützung durch den Coach und positive Peer-Beziehungen
  • durch abgestimmte autonom durchgeführte Trainingspläne wird die Aufgabenorientierung gefördert, Athlet*innen haben eine realistische Einschätzung der eigenen Leistung und deren Steigerung und wissen, dass Anstrengung wichtig für den Erfolg ist.

Fazit:

Es zeigt sich, dass auch ohne Druck vor allem langfristige Erfolge gefeiert werden können. Spaß, Zufriedenheit und positive Emotionen als auch subjektive und objektive Leistung im Wettkampf führen zur Zufriedenheit und zu Leistungssteigerung!