Empowermental Climate – für vera* Sport ein wichtiges Konzept im Sinne der Prävention

Good Practice – ein spannendes Thema, mit dem wir uns bei vera* Sport sehr gerne beschäftigen, liegt der Fokus doch auf funktionierenden, gewaltfreien Strukturen im Sport.

Doch woran erkennt man Good Practice Beispiele im Training? An erfolgreichen Athlet*innen? An einem (un)erwarteten Sieg? An den Trainingsmethoden?

“Diamanten entstehen nur unter Druck”- dieser Spruch ist im Sport gängig. Die Gefahr dabei ist, dass durch Drucksituationen zwar kurzfristig Erfolg möglich sein kann, aber langfristig die Athlet*innen darunter leiden und die Entwicklung von psychischen Krankheiten begünstigt wird. Studien zu Empowermental Climate zeigen theoretisch andere Zugänge zu Trainings auf. Doch wie sieht es in der Praxis aus?

Ein Beispiel von Empowermental Climate haben wir bei der Trainingsgruppe von Viola Kleiser beobachten können.

“Es ist wichtig, eine gute Kommunikation mit der Trainerin zu haben – eine Vertrauensbasis. Es ist nicht so eine klassische Autoritätsstruktur”

Doch was ist bei der Leichtathletikgruppe, die im Olympiazentrum Niederösterreich trainiert, besonders? Zwei Athleten und eine Athletin, sowie die Trainerin selbst haben sich Zeit genommen, unsere Fragen zu beantworten. Heraus kamen interessante Berichte, die sowohl in den Aussagen der Athlet*innen und der Trainerin deckungsgleich waren. Es folgt nun die Athlet*innenperspektive:

Kommunikation

“Es ist wichtig, eine gute Kommunikation mit der Trainerin zu haben, eine Vertrauensbasis, es ist nicht so eine klassische Autoritätsstruktur”, – so ein*e Athlet*in.

Das Zitat zeigt, dass auch für die Athlet*innen Kommunikation sehr relevant ist. Aus allen Interviews geht hervor, dass Kommunikation und die dadurch kontinuierlich gepflegte Vertrauensbasis noch wertvoller ist, denn die Athlet*innen fühlen sich nicht nur wohl, sondern dieses „Wohlfühl-Klima“ hilft ihnen, an und über ihre Grenzen zu gehen.

Aber wie funktionierts? Die Athlet*innen berichten:

Es beginnt mit Saisonanfangsgesprächen, in denen eine Planung der Saison besprochen wird und von Anfang an Uni-Prüfungen, wichtige Seminare und langfristige private Termine eingeplant werden.

Nach Abschluss einer Saison finden “Saisonabschlussgespräche” statt, um gemeinsam die letzte Saison zu reflektieren und in welche Richtung man sich weiterentwickeln möchte. Die Sportler*innen werden in die Entscheidungsfindung einbezogen.

Und dazwischen werden die alltäglichen Trainings-Herausforderungen besprochen, wobei auch Verletzungen, Schmerzen, persönlich wichtige private Termine keine Tabus darstellen, denn alles ist kommunizierbar – wie Trainerin Viola Kleiser allzeit vermittelt.

„[Es ist] kein Problem, dass wir mit Viola über Beschwerden oder Probleme sprechen”, so sieht man auch in den folgenden Punkten, dass Kommunikation einer der wichtigsten Schlüssel ist, der viele Herausforderungen meistern lässt.

Professionelle Beziehung zur Trainerin

“Viola ist eine Autoritätsperson, aber sie lässt es einen nicht spüren”

Das Trainerin-Athlet*innen-Verhältnis wird als nicht klassisch autoritär dargestellt. Es wird ein wertschätzender und respektvoller Umgang in der Trainingsgruppe beschrieben bzw. beim Zuschauen eines Trainings auch von außen wahrgenommen. Sowohl unter den Sportler*innen als auch zur Trainerin. Im Training bedarf es keines strengen Tons. Es scheint, als wäre der respektvolle Umgang auf Augenhöhe Antrieb genug.

“Es ist nicht nötig, dass sie drüberfährt”. Strafen, Sanktionen oder unter Druck setzen gibt es nicht. In allen Interviews wird eine Wohlfühl-Atmosphäre beschrieben und die Haltung, dass Fehler dazu gehören und man daraus lernt. Neben dieser Haltung wird den Athlet*innen vermittelt, dass sie “bei sich selbst bleiben” sollen. Dies bedeutet, dass kein Vergleich der Leistung mit anderen stattfindet, sondern die eigene Entwicklung im Verlauf betrachtet wird.

Viola Kleiser wird auch insbesondere für ihren Einsatz geschätzt, das Vertrauen liegt nicht nur in ihrer Person, sondern ebenso ihrer Kompetenz, die unter anderem durch das periodisierte Training und in der klaren Abgrenzung bzgl. Zuständigkeiten wie z.B. Vermittlung an Physiotherapie, Sportpsychologie aber auch zu privat werdenden Anliegen zum Ausdruck kommt.

Gruppendynamik

Die Athlet*innen beschreiben die Gruppendynamik als besonders anspornend. Die zwei im Wettkampf gegeneinander antretenden Sportler Leo und Andi sprachen offen über das Probetraining und wie Viola mit Leo als schon zuvor in der Gruppe trainierenden Athlet besprach, ob Andi aufgenommen wird oder nicht. Ganz klar habe Viola kommuniziert, dass sie keine Rivalität innerhalb der Gruppe wolle. Derzeit befinden sich 8 Athlet*innen unterschiedlichen Alters und verschiedener Disziplinen in der Trainingsgruppe. In allen Interviews wird erwähnt, dass sie sich gut verstehen und auch bei Trainingslagern die Freizeit gemeinsam verbringen oder auch mal Ausflüge gemeinsam machen, wie beispielsweise der EM-Besuch in München, um die Trainingskollegin Lena zu unterstützen. Bei den Trainings haben Leo, Andi und Lena zum Teil dieselben Übungen bzw. auch Läufe. Es wird dabei darauf geachtet, dass die Trainingsdistanzen oder die Zeiten beim Lauf angepasst werden, sodass gemeinsam trainiert werden kann und alle durch die “Konkurrenz” profitieren können.

Doppelbelastung Ausbildung und Sport – Überbelastung?

Durch das periodisierte Training wird der Umfang zwischen Belastungswochen und Regenerationswochen variiert. Ebenso wird durch die Zusammenarbeit mit Physiotherapie, Massage und ärztlicher Betreuung den Sportler*innen der Fokus auf die eigene Gesundheit vermittelt. Ein Athlet beschreibt, dass man seine Energie gut einteilen müsse. So kann auch durchaus in einem Reflexionsgespräch nachbesprochen werden, dass eine Pause zwischendurch sinnvoller gewesen wäre und diese für die nächste Trainingsperiode eingeplant wird.

Eine Entlastung sei aber die Möglichkeit, auch Zuhause zu trainieren. Dies ist möglich, da der Trainingsplan für die ganze Woche jeden Sonntagabend ausgeschickt wird. Die eingeplanten Pausen/Trainingsreduktion vor und für Prüfungen und andere wichtige Termine stellen ebenso eine Erleichterung in der Doppelbelastung von Ausbildung und Leistungssport dar. Die Unterstützung durch KADA wird von den Athlet*innen als sehr hilfreich empfunden.

Es wurde auch erwähnt, dass es Ausbildungsformen (FH, Uni, Fernstudium, Lehre) gibt, die leichter vereinbar sind bzw. auch Studienformen/Studienrichtungen, welche eine Unvereinbarkeit darstellen. Ebenso ist eine Abweichung vom Trainingsplan möglich, wenn der Körper Signale sendet, dass es zu viel ist oder an diesem Tag etwas anderes braucht. Diese Möglichkeit verlangt einerseits von den Athlet*innen, dass sie ihren Körper gut kennen und andererseits deutet es wiederum auf die Vertrauensbasis und gute Kommunikation mit Viola hin.

Wettkämpfe – Umgang mit Erfolg und Misserfolg

Egal ob ein Erfolg erzielt wird oder nicht, der Ablauf ist gleich. Es gibt keine Standpauke, keine Jubelrunden der Trainerin, sondern eine erste Nachbesprechung erfolgt am Wettkampftag. Die ausführliche Wettkampfnachbesprechung findet anschließend bei der nächsten Trainingseinheit statt. Dazwischen nimmt sich Viola Kleiser die Zeit, den Wettkampf zu analysieren, um Ansatzpunkte für das weitere Training oder die nächste Wettkampfplanung daraus abzuleiten. Es wurde berichtet, dass die Selbstkritik der Athlet*innen meistens größer ist als die Kritik der Trainerin, wodurch sie die Selbsteinschätzung der Sportler*innen zum Positiven beeinflussen kann.

Die Auftakttrainings für Wettkämpfe können die Athlet*innen bei sich Zuhause absolvieren, was Stress herausnehmen kann. Am Wettkampftag wissen die Athlet*innen genau, was zu tun ist. Es wird durchgeplant und besprochen, sodass sich die Athlet*innen sicher fühlen. Ist Viola bei einem Wettkampf nicht dabei, dann ist sie telefonisch erreichbar.

Auch am Wettkampftag sind die Athlet*innen der Gruppe für einander da und freuen sich für die anderen, wenn Erfolge erzielt werden.

Nach dieser spannenden Athlet*innensicht wird ergänzend beim nächsten Blogbeitrag die Trainerinnensicht vorgestellt, um einen Gesamteindruck der Trainingsgruppe zu erhalten.

Empowermental Climate aus Sicht der Vertrauensstelle

Viele denken sich nun vielleicht, dass Saisongespräche und wertschätzende Kommunikation selbstverständlich sind, doch die Erfahrungen in der Arbeit von vera* zeigen, dass es hier noch Aufholbedarf gibt. 

Gerade gegenüber „privaten Terminen“ geht die Akzeptanz von Trainer*innen weit auseinander. Dass Leistungssport Verzicht bedeutet und einen ganz speziellen auf den Sport fokussierten Lifestyle, bleibt unbestritten, doch die Möglichkeit, ein wenig soziales Leben zu erhalten, ist wichtig und für eine langfristige Karriere essentiell. Dieser Aspekt “soziale Unterstützung” wird im Empowermental Climate ebenso hervorgehoben. Schon in der Jahresplanung wichtige persönliche Termine mit einzubeziehen, erleichtert die Planung eines stringenten Trainingsplans, unterstützt die Athlet*innen in ihrer Autonomie, fördert Eigenverantwortung und gibt die Chance, eigene Bedürfnisse zu integrieren.

Durch eine wertschätzende und ernstgemeinte Kommunikation können bereits die drei Hauptaspekte des Empowerment stärkenden Klimas abgedeckt werden: Aufgabenorientierung, Autonomieunterstützung und soziale Unterstützung. Diese Aspekte sollten immer wieder im Training aufgegriffen werden, sodass die intrinsische Motivation gesteigert werden kann. Die aktive Miteinbeziehung der Sportler*innen in Entscheidungsfindungen und der dabei wertschätzende Umgang bilden die Basis. Die kritische Selbstreflexion der Trainer*innenhaltung ist eine Voraussetzung dafür.

Die Erfahrungen zeigen, dass Trainer*innen von ihren Methoden überzeugt sind, da sie diese meist selbst erfahren haben, diese Methoden vermeintlich “erfolgreich” waren oder ihnen alternative Ansätze fehlen. Dies kann unreflektiert  zu einem eigenen autoritären Trainer*innenstil führen. Die Grenzen zwischen psychischen Gewalt und „wer Leistung bringen will, muss das aushalten“ verschwimmen oft, sodass die Sportler*innen darunter leiden. Dies kann zu einem frühzeitigem Drop Out und leider oft auch zu langfristigen psychischen Problemstellungen für Athlet*innen führen. Hier ist der Ansatz, ohne Strafen, Sanktionen und Druck zu arbeiten, zu bevorzugen, denn einerseits bestätigt das Empowerment Klima, dass zu starke Kontrolle und Wettkampforientierung schwächende Faktoren sind und zudem psychische Gewalt darstellen können. 

Weitere Punkte des Empowermental Climate, die diese Gruppe berichtet:

  • Wahrnehmung hoher sozialer Unterstützung durch den Coach und positive Peer-Beziehungen 
  • durch abgestimmte autonom durchgeführte Trainingspläne wird die Aufgabenorientierung gefördert, Athlet*innen haben eine realistische Einschätzung der eigenen Leistung und deren Steigerung und wissen, dass Anstrengung wichtig für den Erfolg ist. 

Fazit: 

Es zeigt sich, dass auch ohne Druck vor allem langfristige Erfolge gefeiert werden können. Spaß, Zufriedenheit und positive Emotionen als auch subjektive und objektive Leistung im Wettkampf führen zur Zufriedenheit und zu Leistungssteigerung!